Der urnenfelderzeitliche Einbaum von der Roseninsel

In den Jahren 1987 - 1990 wurde unter der Leitung von Hubert Beer - dem "Vater der BGfU" im Flachwasserareal vor dem Westufer der Roseninsel ein 13,46 m langer, 1,15 m breiter und 0,65 m hoher, rundbodiger Einbaum mit Löffelbug ausgegraben. Der aus Eichenholz gefertigte Einbaum konnte dendrochronologisch in das Jahr 900 v. Chr., d. h. in die späte Urnenfelderzeit (Ha B2/3), datiert werden. Die Einbettung des Bootes in ein Kulturschichtenpaket der Stufen Ha A2 bis Ha B3 eröffnete die in der Unterwasserarchäologie die seltene Gelegenheit, ein solches Wasserfahrzeug innerhalb eines stratifizierten Kontextes zu beobachten.

 

Im Zuge der Ausgrabungen wurden dann verschiedene Kulturschichten erfasst, die vom Übergangshorizont zwischen früher und mittlerer Bronzezeit (Bz A2/B1) bis hin zur späten Urnenfelderzeit (Ha B2/3) reichten. Quantitative sowie qualitative Mängel des geborgenen Fundmaterials ließen exakte zeitliche und typologische Ansprachen allerdings nur bedingt zu, weshalb das chronologische Gerüst der Grabung primär auf stratigraphischen Beobachtungen und einigen Dendrodaten gründet. Das Gros der Funde bildete stark zerscherbte Siedlungskeramik. Schalenfragmente, insbesondere von gewölbten Schrägrandschalen, waren besonders häufig im Fundmaterial vertreten. Dieser Umstand ist für spätbronze- und urnenfelderzeitliche Fundinventare sehr bezeichnend. Auch das restliche Fundgut der Einbaum-Grabung präsentierte sich als typisches Siedlungsmaterial. Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs waren u. a. ein Spinnwirtel, verschiedene Reibsteinfragmente und ein Läufer, ein Klopfstein und ein bronzener Doppelangelhaken.

 

Das Bild der Knochenfunde entspricht weitestgehend dem Üblichen Knochenspektrum bzw. Schlachtabfall einer Siedlung der Bronze- und Urnenfelderzeit. Die Haustierknochen kamen gegenüber den Wildtierknochen in einem Mengenverhältnis von etwa 5:1 vor. Sie stammten hauptsächlich von Rindern (53%), gefolgt von den Knochen domestizierter Pferde, Schafe/Ziegen und Schweinen. Die Wildtierknochen konnten den gängigerweise bejagten Tierarten, d. h. Rot- und Schwarzwild, zugewiesen werden. Makrobotanische Reste von Anbau- (Gerste, Emmer) und Sammelpflanzen (Hasel, Schlehe) gaben weitere Hinweise auf die Ernährung der Siedlungsbewohner. Bucheckern und Eicheln gelangten wohl als Winterfutter für die Schweinemast auf die Roseninsel. Sowohl Ackerbau als auch Viehzucht erforderten reichlich Platz, der nur auf dem nahegelegenen Festland zur Verfügung stand. Das Material für die Steingeräte - v. a. Aptychenkalk, Gneis und Amphibolit - dürfte in der Jungmoränenlandschaft rund um den Starnberger See aufgesammelt worden sein. Die Artbestimmung einiger gut erhaltener Molluskenschalen erbrachte den Nachweis verschiedener an das Süßwasser gebundener Gastropodenarten. Sie repräsentierten die Überreste natürlicher Schneckenpopulationen, die allesamt im pflanzenreichen Litoral vorkommen. Offensichtlich markierte das Untersuchungsareal eine Siedlungsrandlage in einer seichten Ufer- respektive Brandungszone am Übergang vom Limnischen zum Terrestrischen. Die in etlichen makrobotanischen Proben nachgewiesenen Reste von Sumpf- und Wasserpflanzen wie etwa Erlen, Wasserdost und diversen Laichkrautarten bestätigten dies ebenso wie ein variierender Seekreideanteil der einzelnen Kulturschichten. Da die Bildung von Seekreide an ein limnisches Milieu gebunden ist, scheinen aquatische Faktoren bei der Entstehung dieser Horizonte eine Rolle gespielt zu haben. Dergestalt ließen sich verschiedene Transgressions- und Regressionshorizonte unterscheiden, wobei letztere eindeutige Schwerpunkte der bronze- und urnenfelderzeitlichen Siedeltätigkeit rund um den Roseninsel-Einbaum darstellten. Den oberen Abschluss des Kulturschichtenpaketes bildete ein ausgeprägter Regressionshorizont der spätesten Urnenfelderzeit. Es handelte sich vermutlich um einen überwiegend terrestrisch geformten Strandhorizont. Als Folge dieser Regression verlandete das Areal rund um den Roseninsel-Einbaum allmählich. Im Anschluss an die Urnenfelderzeit wurde zumindest innerhalb des dokumentierten Grabungsareals nicht mehr gesiedelt. Eine überdeckende, sterile Seekreideschicht zeugt von einem deutlichen Seespiegelanstieg. Am Übergang vom trockenen Subboreal zum feuchten Subatlantikum kam es in Mitteleuropa zu einem regelrechten Klimasturz. Stark zunehmende Niederschlagsmengen ließen die Pegel der alpinen und voralpinen Seen in kurzer Zeit enorm ansteigen. Überdeckende Schwemmschichten in zahlreichen Seeufersiedlungen der späten Urnenfelderzeit lassen darauf schließen, dass viele dieser Plätze aufgrund plötzlicher Hochwässer nahezu gleichzeitig aufgegeben werden mussten. Insgesamt gesehen korrespondiert die bronze- und urnenfelderzeitliche Besiedlungsabfolge an der Roseninsel hervorragend mit jener an den Seeufern des sogenannten Pfahlbaukreises in Südwestdeutschland und der Schweiz. Höhepunkte der Siedeltätigkeit auf der Roseninsel fielen demnach v.a. in die Übergangsperiode zwischen den Stufen Bz A2 und B1 sowie in die mittlere bis späte Urnenfelderzeit, insbesondere die Stufe Ha B. Gemeinsamkeiten mit dem Inventar zeitgleicher Seeufersiedlungen - etwa der Wasserburg Buchau - konnten ausgemacht werden.

 

Die Roseninsel zählt zu den wenigen bekannten prähistorischen Seeufer- bzw. Inselsiedlungen des Freistaates, deren weitgehendes Fehlen im bayerischen Raum nicht nur auf einen unzureichenden Forschungsstand zurückgeführt werden kann. Zahlreiche Alt- und Lesefunde von der Roseninsel belegen zudem eine nahezu kontinuierliche Besiedlungsgeschichte vom Mittelneolithikum bis ins Mittelalter, wodurch sich die Fundstelle von den Seeufersiedlungen des Pfahlbaukreises abhebt. Der Grund für diese intensive Siedeltätigkeit könnte der natürliche Schutz der Insellage gewesen sein. Möglicherweise überwog die topographische Situation die Standortnachteile, etwa die wirtschaftliche Abhängigkeit vom umgebenden Festland. Unter Umständen sprach man der Roseninsel auch einen naturheiligen Charakter zu. Bislang bieten allerdings nur diverse urnenfelderzeitliche Nadelfunde einen Hinweis auf eine prähistorische Kultausübung vor Ort. Sie können womöglich als Votivgaben aus einem Gewässerheiligtum interpretiert werden. Vornehmlich diente die Roseninsel jedoch als Siedlungsplatz. Eine oftmals postulierte Form der Kultkontinuität auf der Roseninsel von der Vorgeschichte bis hin zur mittelalterlichen Nutzung als Friedhof samt Wallfahrtskirche bleibt folglich völlig unbewiesen.

 

U. Schlitzer