Die Krautinsel im Chiemsee                                                                                 Ein Siedlungsplatz der Altheimer Kultur?

Es scheint offensichtlich, dass die von der Herren- und Fraueninsel eingerahmte Krautinsel schon weit vor Ihrer ersten Nennung im Jahre 1337 („insula Chiczensawe“) menschlichen Einflüssen ausgesetzt war [1]. Ein erster Hinweis konnte in diesem Zusammenhang im Jahre 1908 durch H. Rehm aus Prien am Chiemsee erbracht werden. Er übersandte der Königlichen Akademie der Wissenschaften in München „einige Pfahlstümpfe“ von der Südspitze der Krautinsel zur Begutachtung. Eine beigefügte Skizze gab die Lokalisation der Pfähle innerhalb einer Pfahlreihe sowie morphologische Details der zugebeilten Pfahlspitzen zu erkennen [2]. Obwohl dem damals mitverantwortlichen Paul Reinecke „das Alter der Pfahlreihe [...] zweifelhaft“ erschien, versuchte er, „am Seegrunde“ weitere Pfähle ausfindig zu machen – leider ohne Erfolg. Bei Begehungen der Insel in den 1930er Jahren entdeckten M. Hell und H. Dietl mehrere spätneolithische Einzelfunde und ordneten diese unter Vorbehalt der Altheimer Gruppe bzw. der Mondseekultur zu[ 3]. Darüber hinaus lieferten in den letzten Jahren verstärkte Aktivitäten eines Sondengängers an der Südspitze der Insel sowie an einer dieser vorgelagerten, ca. 150 m langen Untiefe zahlreiche Funde aus den unterschiedlichsten Epochen. Verschiedenste vorgeschichtliche Werkzeuge und Scherben, latènezeitliche Graphittonkeramik, Münzen der römischen Kaiserzeit sowie zahlreiches mittelalterliches Fundgut seien hier beispielhaft erwähnt.

 

Für den heutigen Namen der Insel – Krautinsel – sowie deren daraus ableitbare Nutzung bietet ein Zitat aus dem Jahre 1589 bereits ausreichend Erklärung [4]: „insula, quam horti instar ad olera aliaque necessaria colunt“ (eine Insel, die man ganz wie einen Garten für Kräuter und andere Lebensmittel bebaut). Vor diesem Hintergrund wird die noch deutlich sichtbare Einteilung der Insel in kleinste Parzellen verständlich [5]. Hinsichtlich der Fischerei um die Krautinsel belegen mehrere überlieferte Reviernamen, wie „übers Eck, Oster, Wester, Hüttl, Grumpen oder über die Mitte“, ausgedehnte Aktivitäten von sog. Zugnetzfischern [6].

 

Gerade die Verwendung von Zugnetzen könnte zur Erklärung beitragen, weshalb in den im März 2001 durchgeführten unterwasserarchäologischen Prospektionen keinerlei Pfahlreste an der 1908 durch H. Rehm beschriebenen Stelle bzw. Funde im näheren Uferbereich der Insel dokumentiert werden konnten. Dabei dürfte die Handlung des „Zugnetzfischens“ selbst eine nur untergeordnete Rolle in der Bedrohung der Denkmäler unter Wasser gespielt haben. Vielmehr muss von einer erheblichen Zerstörung von unterwasserarchäologischen Befunden durch die systematische Säuberung und Räumung des ufernahen Seebodens vor dem Einsatz der Zugnetze durch die ortsansässigen Fischer gerechnet werden. Aufgrund einer Auflistung aus dem Jahre 1904 ist bekannt, dass sich zu dieser Zeit mindestens sechs „Auszugsplätze“ für Zugnetze auf der Krautinsel befunden haben [7]. Daher verwundert es nicht, dass während der unterwasserarchäologischen Prospektionen im Jahr 2001 nur ein Seeuntergrund dokumentiert werden konnte, der von einer massiven und fest verbackenen Geröllschicht geprägt und demnach als sedimentfreier und zerstörter Reduktionshorizont des glazialen Moränenrückens anzusprechen ist. Zur Entwicklung desselben könnten auch starke Seespiegelschwankungen sowie im Speziellen die Absenkung des Seespiegels um 73 Zentimeter in den Jahren 1902 bis 1904 beigetragen haben[viii]. Vielleicht gerieten dadurch noch erhaltene aufgehende Schichten in den Einflussbereich von ufernahen Strömungen und gingen deswegen verloren. Ähnliche sedimentologische Verhältnisse wurden auch beidseits der beschriebenen Untiefe in südwestlicher Verlängerung zur Insel angetroffen. In ca. 15 Metern Entfernung vom Scheitelpunkt der Untiefe taucht der Reduktionshorizont allerdings zu beiden Seiten unter Seesediment ab. Hier wurden auf einem insgesamt 60 Meter langen Transekt Bohrungen durchgeführt, um noch evtl. vorhandene Kulturschichtreste verifizieren zu können. Sämtliche Bohrkerne in einer Tiefe von bis zu drei Metern zeigten ein „unruhiges Bild“ mit einer starken Vermengung von Seekreide, Sand und organischem Material (Hölzchen, Rinden, Hülsenfrüchte) und dürften am ehesten das Ergebnis starker Seespiegelschwankungen und sonstiger Strömungseinwirkungen durch Wellenschlag oder Wind sein. Auf der Untiefe selbst konnten bei Begehungen im Flachwasser kleinzerscherbte und z. T. stark verrollte Keramik unterschiedlichster Zeitstellungen (neolithische, grob gemagerte Keramik; mittelalterliche Keramik) sowie Silexabschläge aufgelesen werden.

 

Auch wenn die Lokalisation einer vorgeschichtlichen Siedlung im heutigen Feuchtbodenbereich der Krautinsel bislang nicht gelang und diesbezüglich keinerlei Kulturschichtreste entdeckt werden konnten, so scheint deren Existenz angesichts des bereits bekannten Fundspektrums sowie vor allem aufgrund der mittlerweile von der Insel selbst zutage gekommenen Befunde wahrscheinlich.

 

 

Tobias Pflederer

 

 

Literatur:

[1] M. Henker, W. A. Frhr. v. Reitzenstein, Bayerisches Flurnamenbuch. Band 1. Gemeinde Chiemsee (München 1992) 9-10.

[2] Die Skizzen von H. Rehm (1908) sowie der Briefwechsel Paul Reineckes sind in den Ortsakten des Bayer. Landesamtes für Denkmalpflege in München abgelegt.

[3] Fundchronik für das Jahr 1951-52. In: Bayer. Vorgeschbl. 18-19, 1951-52, Abb.4, 229.

[4] M. Henker (Anm. 1) 9-10.

[5] Auf einem im Jahr 1803 durch den kurfürstlich Traunsteinischen Salinen-Waldmeister Franz Huber angefertigten Plan (BayHstA, Plans 19619) sind neben den Haus- und Flurnamen der Fraueninsel auch die Parzellen auf der Krautinsel und deren Eigentümer verzeichnet: z. B. „vom Kloster benützt“ oder „dem Heuknecht eigene Gründe“.

[6] P. Höfling, Die Chiemsee-Fischerei. Beiträge zu ihrer Geschichte. Beiträge zur Volkstumsforschung 24, 1987, 27ff.

[7] P. Höfling (Anm. 5) 44ff.