Insel Mozia / Sizilien - Projekt 2019: Erstnachweis phönizischer Hafenanlagen?

 Die phönizische Niederlassung Motya liegt auf der Insel San Pantaleo in der Lagune Lo Stagnone nördlich von Marsala im Westen Siziliens. Mit der Erweiterung der antiken Welt nach Westen erreichten die Phönizier Motya zwischen 800 und 750 v. Chr. Die geschützte Lagune wurde für Zwischenlandungen auf ihren Fahrten über das westliche Mittelmeer genutzt. Dabei bot die Lagune mit Motya und den benachbarten Inseln nahe der Flussmündung des Birgi-Flusses und der „Kothon“-Quelle im Süden Motyas Süßwasser, Salz, kultivierbares Land und eine friedliche lokale Bevölkerung. Die Nutzung der zwischen dem 6. und 5. Jahrhundert befestigten Niederlassung fand ihr Ende mit der Eroberung von Motya durch Dionysios dem Älteren im Jahr 397 v. Chr. Eine entscheidende Rolle spielte dabei eine heute unter Wasser liegende Straße, die sich vom Nordtor ans sizilianische Festland erstreckt und von Phöniziern erbaut wurde.

Da die flache Lagune phönizischen Handelsschiffen aufgrund ihres Tiefgangs kein Anlegen an Land erlaubte, wird vermutet, dass sie in den tieferen Bereichen am südlichen Eingang der Lagune auf Reede lagen und die Waren mit Hilfe von kleinen Transportbooten gelöscht wurden. Francesca Oliveri und Antonina Lo Porto berichteten bereits 2017 darüber. 2018 wurde ein erster Befund näher untersucht, der aus einer Steinreihe bestand und dessen konstruktive Verhältnisse einen Anleger vermuten ließen. Zudem konnten vor diesem Befund phönizische Scherben aus dem 6. bis 4. Jahrhundert v. Chr. entdeckt werden. Ziel der mittlerweile vierten BGfU-Kampagne auf Motya war es daher, weitere Konstruktionen zu untersuchen, die einen nautischen Kontext vermuten lassen.

Vor dem Ostturm, von dem eine Treppe mit 28 Stufen an den Strand führt, fand sich eine 24 m lange und 2 m breite zweite Steinstruktur im Schlick, die die Substruktion einer Mole oder eines Anlegers darstellen könnte und dessen Befund unten näher beschrieben wird. Sein Ende liegt 28 m vom Ufer entfernt.

 

Die Oberfläche der architektonischen Überreste der mutmaßlichen Mole wurde vollständig freigelegt. Die vermuteten Reste der Substruktion waren aus einer einlagigen Mischung größerer verrollter Kieselsteine und unverarbeiteter Kalksteine konstruiert. Die Lücken zwischen den Steinen waren mit kleineren Kieselsteinen verfüllt (Abb. 3). In der freipräparierten Substruktionsoberfläche und in Steinlücken steckend konnten an zwei kleinräumigen Schnitten in einer Tiefe von 30 bis 40 cm unter dem Meeresboden Funde phönizischer Scherben gemacht werden. Die phönizische Küchenkeramik bestand aus Resten flacher Schalen oder Tellern, Kochtöpfen mit Innenrand für eine Abdeckung und tiefen Schalen. Weiterhin wurden Amphorenfragmente ohne und mit gekerbtem Rand gefunden, der für die Befestigung einer Schnur zu ihrer Lagerung diente.

Zur Untersuchung der stratigrafischen Verhältnisse wurden an der vermuteten Mole zwei Schnitte angelegt, der erste in der Mitte der Südseite des mutmaßlichen Anlegers und der zweite auf der Nordseite am Ende. Schnitt 1 wurde dabei mit drei Profilen (Profile 1 - 3) und drei Plana, Schnitt 2 mit vier Profilen (Profile 4 - 7) und zwei Plana dokumentiert.

 

In Schnitt 1 ließen sich dabei fünf Schichten differenzieren. Die oberste Schicht (25 cm Sedimentstärke) bestand aus Schlicksubstrat in dem Posidonia wurzelte. Dieser folgte die Kulturschicht mit einer Stärke von 5 bis 10 cm. Sie lag auf einer Schicht ohne Fundmaterial, jedoch mit hohem Molluskenschalenanteil (25 cm Sedimentstärke). Schließlich wurde der anstehende Boden ab ca. 60 cm in Profil 1 und bei ca. 65 cm in Profil 2 angetroffen. Ob es sich bei der fünften Schicht an der vermuteten Mole um eine mögliche Baugrubenverfüllung handelt, muss noch geprüft werden. Die Kulturschicht, die in Planum 1 und zum Teil auch in Planum 2 dokumentiert werden konnte, enthielt neben Keramik auch Knochenfragmente von Pferd, Rind sowie Bleifragmente. Ein in Planum 3 erfasster Holzpfahl (7 x 8 x 15 cm) verlief tiefer als die Steine der vermuteten Mole und schien ein mögliches Konstruktionselement zu sein. Aufgrund seines Erhaltungszustandes wurde der Pfahl zur C14 Datierung entnommen. Ein in Planum 0 am östlichen Ende der Steinstruktur gefundenes Holzbalkenfragment war bereits zu sehr vergangen, um es für eine Beprobung heranziehen zu können. Während in Planum 3 die Gesamtlänge eines Steinblocks in West-Ost-Ausrichtung nicht erfasst werden konnte, lag ein weiterer Kalkstein (52 x 12 x 5 cm Ausdehnung) über der Kulturschicht.

 

In Schnitt 2 wurde die stratigrafische Aufschlüsselung aus Zeitgründen nur bis unter die fundführende Schicht vorgenommen. Die Kulturschicht, die nur Keramik führte, zeigte sich in Schnitt 2 ca. 30 cm unterhalb des Posidoniabewuchses und verlief weitere ca. 20 cm in die Tiefe. Im Vergleich beider Schnitte zeigten sich im nördlichen Schnitt 2 weitaus häufiger große Steine als im südlichen Schnitt 1. Zudem waren die Steine im Schnitt 2 in die Kulturschicht eingebettet. Ob es sich in Anbetracht des bisherigen Gesamtbildes um einen „L“-förmigen Anlegerkopf im Sinne eines „jetty with a platform“ handeln kann, muss in den Folgekampagnen geprüft werden. Darüber hinaus muss Indizien für eine mögliche Baugrube am Ostende der Konstruktion nachgegangen werden.

Die in den Schnitten dokumentierten Keramikfragmente konnten in eine Zeit zwischen dem 6. und 4. Jahrhundert v. Chr. datiert werden, deren Perioden zwischen den Stufen Frühpunisch II und Mittelpunisch II.1. liegen. Wird der Interpretation der Konstruktion vor dem Ostturm als Mole zugestimmt, so stammt das Fundmaterial aus einer jüngeren Zeit als der Bau der submersen Straße, die vor der 2. Hälfte des 6. Jh. v. Chr. gebaut wurde. Möglicherweise wurde die vermutete Mole während oder sogar nach dem Bau des Ostturms errichtet, der nach Diodorus von Hermokrates Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. errichtet wurde.

 

Entlang der submersen Straße und den mutmaßlichen Anlegern wurden Bohrproben genommen, um den Untergrund rund um die Bauten zu untersuchen. Alle Bohrproben zeigten eine normale Gradierung von feinkörnigem zu grobkörnigem Substrat. Die oberste Schicht bestand aus organischem Schlamm, die unterste Schicht aus Blauton. An den Bohrstellen „submerse Straße (1), Ostturmmole (2) und der Kalksteinplattform (3)“ enthielt jeweils nur eine der zahlreichen Bohrungen Kulturschichtanzeiger.

Betrachtet man verschiedene Bauten, die sich an der Insel am Übergang des Gewässers zur Landzone befinden, können Überlegungen zum antiken Meeresspiegel in phönizischer Zeit angestellt werden: Die unterste Stufe der Ostturmtreppe taucht 24 cm unter das heutige Meeresspiegelniveau. Die aktuell dokumentierte Oberfläche der Substruktion der vermuteten Ostturmmole liegt 48 cm und der heutige Laufhorizont der submersen Straße im gepflasterten Bereich durchschnittlich 50 cm unter dem heutigen Meeresspiegel. Im Vergleich zwischen der Unterseite der untersten Stufe der Ostturmtreppe und der vermuteten Substruktion der Ostturmmole ergibt sich damit eine Höhendifferenz von 24 cm. Die Höhe eines Pflastersteins der untergetauchten Straße beträgt nachweislich 20-25 cm. Wird über der Substruktion der Ostturmmole ein begehbarer Horizont aus ähnlichen Pflastersteinen angenommen, hätte diese mit dem heutigen Wasserspiegel bündig abgeschlossen. Aufgrund der Funktionalität einer Mole darf aber mit Sicherheit ein deutlich über dem Wasserspiegel liegendes begehbares Niveau angenommen und auf mehr als einen halben Meter beziffert werden.

Wird damit eine Transgression des Meeresspiegels seit phönizischer Zeit von mindestens 50 cm auch auf die submerse Straße angewendet, würde dies bedeuten, dass deren Laufhorizont etwa auf dem Niveau des antiken Seespiegels gelegen hätte. Will man die submerse Straße auch als Damm mit einer gewissen Sperrfunktion verstehen, müsste eine deutlich über dem antiken Meeresspiegel befahrbare Straße angenommen werden. Damit wäre der Unterschied zwischen heutigem und phönizischem Meeresspiegel noch stärker ausgeprägt. Es ergäbe sich also ein noch größerer Transgressionsbetrag. Geht man auch hier davon aus, dass dann zumindest die Pflastersteine über Wasser lagen, müsste die Transgression im Minimum 75 cm betragen haben. Insgesamt dürfte also unter Berücksichtigung der beschriebenen Strukturen von einem Anstieg des Meeresspiegels seit phönizischer Zeit von mindestens 50-75 cm auszugehen sein.

 

Schlussfolgerungen

Aus den stratigrafischen Beobachtungen und unter Berücksichtigung des angetroffenen Fundmaterials lassen sich folgende Überlegungen anstellen: Spätestens nach dem Bau des Damms der phönizischen Straße und vielleicht sogar nach dem Bau des Ostturms begann wahrscheinlich der Bau der mutmaßlichen Ostturmmole. Das Hafenbecken von Motya bestand aus der Lagune selbst. Bestätigen sich die bislang gemachten Beobachtungen, ermöglichten mehrere Landeplätze die Anlandung kleinerer und mittelgroßer Transportboote. Große Transportschiffe dagegen lagen vermutlich auf geschützter Reede in der Nähe des südlichen Lagunenzugangs vor Anker. Das Hafengebiet im Nordosten war vermutlich der alte Hauptlandeplatz für die kleineren Wasserfahrzeuge, der damit auch die Handelsversorgung von Motya sicherstellte. Dafür würden auch die kürzlich entdeckten Rampen an der submersen Straße sprechen, die ebenfalls als Anlandekonstruktionen für kleinere Boote diskutiert werden. Nach der Eroberung von Motya durch Dionysos I. endete die Nutzung der Mole und ihre Verschlickung ließ sie in Vergessenheit geraten. Sollte sich die Mole am Ostturm als zeitgleich mit der Ostturmtreppe herausstellen, legt der Vergleich der gegenübergestellten Bauten, an Land und in der Lagune, eine Transgression von mindestens einem halben bis einem dreiviertel Meter nahe.

 

 

Detlef Peukert, Franziska Domen, Francesca Oliveri, Pamela Toti, Antonella Leda Lo Porto

 

 

Literatur:

F. Benassi/A.Ceraulo /M.A. Papa, Nuove ricerche archeologiche nello “Stagnone” di Mozia. Indagini e prospezioni presso la strada sommersa. The Journal of Fasti Online, 1-8, Published by the Associazione Internazionale di Archeologia Classica, Roma 2008. In: URL: http://www.fastionline.org/docs/FOLDER-it-2008-123.pdf (Zugriff: 30.12.2019).

A. Fresina/F. Oliveri, Indagini archeologiche presso lo Stagnone di Mozia. In: M. Capulli (Hrsg.), Il patrimonio culturale sommerso. Ricerche e proposte per il futuro dell’archeologia subacquea in Italia. (Undine 2018) 235-241.

F. Oliveri/A. Lo Porto, A safe haven for ships. Recent underwater research in Mozia, Western Sicily. Skyllis 17 H. 1, 2017, 35-39.

L. Nigro/F. Spagnoli, Landing on Motya. The earliest Poenician settlement of the 8th century BC and the creation of a West Phoenician cultural identity in the excavations of Sapienza University of Rome - 2012-2016. Quaderni di archeologia fenicio-punica/CM 04 (Rome 2017).

J. I. S. Whitaker, Motya. A Phoenician Colony in Sicily (London 1921).