Eraclea Minoa / Sizilien - Projekt 2019: Auf der Suche nach Häfen & Seeschlachten

 Vom 21. bis 28.07.19 führte ein Kooperationsteam im Umfeld der antiken Koloniegründung Eraclea Minoa auf Sizilien eine erste Prospektionskampagne durch. Das Team bestand auf Seiten der BGfU aus M. Fiederling, T. Pflederer, A. Skolik und A. Bovet und wurde durch die Teilnahme von G. Greeven von der LMU ergänzt. Auf Seiten der Soprintendenza del Mare nahmen F. Oliveri und A. Lo Porto an der Maßnahme teil und Beamte der AeroNavale della Guardia di Finanza unterstützten das Team vor Ort mit einem Zodiac Boot und weiterem Equipment. Das Team war in Seccagrande untergebracht und startete jeden Morgen vom Hafen in Siculiana Marina in Richtung Eraclea Minoa.

Die antike Stadt liegt auf einem Felssporn (Capo Bianco), welcher sich mit einer Steilküste dem offenen Meer zuwendet. Nach Osten grenzt die Bovo Marina an, eine leicht ins Landesinnere ziehende, flache und sandige, weitläufige Bucht. Nach Westen grenzt das Delta des Platani Flusses an, welcher sich ins Landesinnere erstreckt und dessen Deltaumfeld aus einem großen Naturschutzgebiet besteht und schilfbewachsene Wiesen, sumpfartige Flächen sowie agrargenutzte Anbauflächen, wie auch den Fluss selbst beinhaltet. Die Kampagne hatte die Aufgabe Erzählungen lokaler Persönlichkeiten sowie weiteren Hinweisen auf Hafenanlagen der antiken Stadt auf den Grund zu gehen und erste Datengrundlagen für weiteres Vorgehen in der Zukunft zu generieren.

Bis in die heutige Forschung oftmals formulierte Ideen für die Lage eines Hafensystems und Reste von Pieranlagen im direkten Umfeld des Capo Bianco sollten überprüft und bestätigt oder widerlegt werden. Weitere Merkmale konnten im Vorfeld der Kampagne mittels Satellitenbildanalyse und der Auswertung historischer Karten herausgefiltert werden. Auch eine eingehende Auswertung der zur Verfügung stehenden literarischen Quellen wurde im Vorfeld vorgenommen. Diese Quellen ließen auf einen antiken Flusshafen schließen, welcher die Verbindung mit dem reichen und fruchtbaren Hinterland herstellte und vom Meer geschützt war. Die anhand aller Daten gut erkennbare, starke Erosion der Küste führte dazu, dass von Beginn an klar war, dass man sich neben den Arealen der heutigen Küste und dem Flussdelta, auch auf Bereiche konzentrieren musste, welche sich heute ca. 100 bis 150 m von der Küste entfernt im Meer befinden. Weitere Details der historischen Quellen sowie der Strömungsverläufe vor Ort sprachen auch dafür, dass eine mögliche weitere Schiffsanlegestelle im geschützten Areal der Bovo Marina zu suchen war, denn für viele Perioden ist dort eine Marine belegt. Zuletzt weisen die historischen Quellen auf mehrere Seeschlachten hin, welche im Vorfeld der Stadt geführt wurde.

 

Somit kristallisierten sich mehrere Zonen für eine eingehendere Untersuchung heraus. Die Ergebnisse zu diesen einzelnen Arealen sollen in folgender Reihenfolge und in gebotener Kürze erläutert werden.

1. Das Flussmündungsareal des Platani/Halykos

2. Das Capo Bianco und die Bucht zwischen dem Cap und Bovo Marina

3. Das tiefere SideScan Areal nahe der Bucht

4. Der Küsten und Strand orientierte Feldsurvey aller Areale

5. Der Fluss Platani und das Areal angrenzend an die antike Stadt Eraclea Minoa

 

 

1.

Die Prospektion des Flussmündungsareal des Platani zeigte eine gänzlich archäologisch fundleere Fläche, welche jedoch die geologischen Überreste eines antiken Flussbettes hervorbrachte, bestehend aus verrollten Kieseln und Steinen sowie fluvial abgelagertem Lehm. Dieses Flussbett ließ sich auf einer Höhe von ca. 100 m von der heutigen Küste entfernt in einer Tiefe von ca. 10 m nachweisen (Abb. 3.) und könnte in Zukunft durch geologische Bohrkerne datiert werden. Hinweise auf Hafenanlagen oder andere artifizielle Strukturen ließen sich nicht nachweisen.

 

2.

Das Areal um Capo Bianco wurde komplett prospektiert und vom Strand aus bis in tiefere Gewässer systematisch betaucht. Informationen, welche in der Vergangenheit an die Soprintendenza del Mare herangetragen wurden und die von noch sichtbaren Resten von Pieranlagen sprachen, konnten eindeutig widerlegt werden. Neben einer kompletten Abwesenheit von jeglichem archäologischem Fundmaterial konnte jedoch der Grund für diese hartnäckigen Gerüchte identifiziert werden. Es handelt sich um geologische Strukturen, welche für das ungeübte Auge an aufeinander geschichtete Blöcke erinnern und sich im Bereich des Capo Bianco dokumentieren ließen. Ein letzter Forschungsansatz für dieses Areal bildet ein vmtl. mittelalterliches Wrack, welches von den sizilianischen Kollegen erstmals 2006 untersucht wurde und wegen schlechter Wetterbedingungen 2019 nicht abschließend dokumentiert und datiert werden konnte. Dieses Wrack könnte ebenfalls helfen die ehemalige Küstenlinie für einen bestimmten Zeitpunkt sowie das Niveau des Meeresbodens fest zu datieren.

 

3.

Ausgewählte tiefere Bereiche innerhalb der ehemals nahezu abgeschlossenen Lagune wurden mit dem Augenmerk auf solche geologischen Formationen untersucht, welche als Ankerplätze oder Havarieorte in Frage kämen und die bis heute noch, neben einem Meeresbodenniveau von ca. 20 m, kurz unter die Wasseroberfläche reichen. Auch an diesen Stellen konnte jedoch keinerlei archäologisches Material dokumentiert werden.

 

4.

Neben den Side Scan und Tauch-Prospektionen wurde ein klassischer Feldsurvey am Strand und den Flussuferarealen durchgeführt. Die Bucht von Bovo Marina wurde ebenso prospektiert, zudem das Areal zwischen ihr und dem Capo Bianco, das Cap selbst sowie die Flussmündung des Platani und seine Flussufer bis auf Höhe der antiken Stadt. Dieser Survey wurde von G. Greeven durchgeführt, welcher auch die Fundbearbeitung, Zeichnung und Digitalisierung der Funde übernahm. Die Ergebnisse der Feldsurveys ergänzten die bisher gesammelten Informationen, brachten jedoch noch weitere Erkenntnisse. Im Areal der Flussmündung konnte vereinzelt verstreute Keramik dokumentiert werden. Diese bestand aus Fragmenten von Amphoren, tegulae und imbrices sowie Feinkeramik. Hauptsächlich datiert dieses Material vom 4. Jh. v. Chr. bis in das 1. Jh. n. Chr. Einige Fragmente von attischem Import konnten als Teile von Kylikes und Lekythoi identifiziert werden. Um das Capo Bianco konzentrierte sich eine Fundmasse, welche im Gegensatz zu dem Material der Flussmündung scharfe Bruchkanten aufwies. Es konnte somit festgestellt werden, dass dieses Material sowohl vom Stadtberg stammte als auch von den erodierenden Schichten oberhalb der Steilküste. Außerdem konnten in diesem Material u.a. Fragmente spätrömischer Amphoren (4.-5. Jh. n. Chr.) afrikanischen Ursprungs dokumentiert werden. Dies ist daher bedeutend, da seit der Erforschung der Stadt bis zum heutigen Zeitpunkt keine spätrömischen Belegungshorizonte der Stadt nachgewiesen sind. Es existieren jedoch spätrömisch datierende Gräber und eine Villa im nahen Hinterland. Die komplette Abwesenheit jeglichen Fundmaterials im gesamten Bereich der Bovo Marina spricht auch von Seiten der Fundbearbeitung klar gegen eine dortige Verortung einer oder gar mehrerer Hafenanlagen zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte der Stadt.

An den Flussufern des Platani konnte nur an einer Stelle eine große Ansammlung von Material gefunden werden und dies an einer der beiden Stellen, wo die oberhalb gelegene Stadtfläche eine topografische Verbindung zum Fluss aufweist. Die ganze Situation vor Ort spricht jedoch eher für eine geologische Abbruchkante von Kulturschichten, welche sich im nun so geschaffenen, flachen Bereich nahe dem Fluss verteilen. Untermauert wird dies durch einen kleinen verlandeten Flusslauf, der vom Stadthügel hinunter zum Platani entwässerte und vmtl. diesen Abbruch verursachte oder zumindest mitbedingte. Somit ist anzunehmen, dass das archäologische Material von dem befestigten Stadtareal um die “Porta Marina” stammt und sich an den Flanken des Ostufers des Flusses ansammelte. Eine Verortung einer Hafenanlage an diesem Steilhang ist, ebenso wie an all den anderen bisher behandelten Plätzen, kaum vorstellbar.

 

5.

Gegen einige topografische Schwierigkeiten gelang es dem Team den gesamten Platani bis in die erste Flussbiegung nach der Stadtfläche von Eraclea mittels Side Scan Sonar zu prospektieren. Neben einigen kleinen Merkmalen, wie vereinzelten Pfählen und Verlustmaterial, konnten im Platani selbst keinerlei Strukturen, wie Hafenanlagen oder ähnliche Baustrukturen, angetroffen werden. Ebenso in der ersten Flussbiegung nach dem Delta flussaufwärts konnten im Gegensatz zu Hinweisen lokaler Historiker keinerlei artifizielle Strukturen angetroffen werden. Der einzige Ansatzpunkt war eine Vertiefung des Flussbettes auf Höhe des Stadtareals, welches anschließend nach Norden durch einen verlandeten Kanal weiterverfolgt werden konnte. Diesem verlandeten Kanal folgend erreicht man eine flache Ebene, welche im Süden direkt und von der Stadt aus sehr gut zugänglich war. Von topografischen Gesichtspunkten bildete dieses Areal jenes, welches am ehesten für eine Hafenanlage geeignet schien. Eine C14 Analyse von Material vom Grund des Kanals aus 3 m Tiefe wurde an das Curt-Engelhorn-Zentrum in Mannheim gesendet. Die Radiokohlenstoffanalyse ergab mehrere mögliche Datierungen, einmal von 1959, 1961 oder von 1981-1983. In jedem Fall ließ sich feststellen, dass der verlandete Kanal aus dem letzten Jahrhundert stammt und keine Rolle im Hafensystem der antiken Stadt Eraclea Minoa spielte. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass alle Hinweise auf Hafenanlagen im Bereich der Stadt Eraclea Minoa vorerst entkräftet werden konnten. Weitere Prospektionen des Umfelds sollten erfolgen, da nur so in der Zukunft die Reste jener Seeschlachten gefunden werden können, die uns für die Antike eindeutig überliefert sind.

 

Das Kooperationsteam bedankt sich bei den zuständigen Behörden und allen Teilnehmern für ihren hohen Arbeitseinsatz. Die Suche nach den Häfen und den Überresten der antiken Seeschlachten im Meer vor Eraclea Minoa hat erst begonnen. Dies in Zukunft zusammen mit der Soprintendeza del Mare, der LMU München sowie der Guardia di Finanza und dem Nature Reserve Platani tun zu können, erfüllt die Mitglieder der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie mit Stolz, genauso wie, in Gedenken an unseren Kollegen und Freund Sebastiano Tusa, diese Kooperation von Forschern aus verschiedenen Ländern, welche wir zusammen mit ihm gestartet hatten, gemeinsam weiter in die Zukunft zu tragen.

 

 

M. Fiederling

 

 

Literatur:

E. Zambon, Tradition and Innovation. Sicily between Hellenism and Rome (2012).

B. Pace, Arte e artisti della Sicilia antica (1917) 25 ff.

G. Caputo, Dioniso (1930) 86ff.

G. Caputo, La parola del passato (1957) 439ff.

P. Griffo, Bilancio di cinque anni di scavi nelle province di Agrigento e Caltanissetta (1954) 14ff.

G. Schmiedt, Kokalos 3 (1957) 25ff; id., X Congress of International Society of Photogrammetry (1964).

E. De Miro, NSc (1955) 262ff; (1958) 232ff; id., Kokalos 4 (1958) 69; 8 (1962) 144; id., L'antiquarium e la zona archeologica di Eraclea Minoa (1965—Its. Poligrafico dello Stato).

W. W. How/ J. Wells, A commentary on Herodotos with Introduction and Appendices. Volume II (Books V-IX) (Oxford).

Bibliothek der griechischen Literatur. Diodoros. Griechische Weltgeschichte Fragmente (Buch XXI-XL) Übersetzung (Stuttgart 2008).