Der mittelalterliche Einbaum von Breitbrunn

Es ist geradezu bezeichnend, dass die Bevölkerung des Chiemsees lediglich ihren Einbäumen den Titel eines Schiffes zugestand, nicht jedoch den übrigen Bootsformen wie den Plätten oder Zillen. Fischer und Anwohner bezeichneten ihre Einbäume stets respektvoll als Schüff, Schöff, schifl, schef, oder schöfl. Welche Belege existieren nun für die jahrtausendealte Tradition des Einbaumes am Chiemsee? Begehungen durch M. Hell und H. Dietl im Jahre 1930 sowie Prospektionen der BGfU wiesen eine wahrscheinliche Besiedlung der Krautinsel im Chiemsee in spätneolithischer Zeit nach. In diesem Zusammenhang ist es durchaus denkbar, dass Fischer und Jäger dieser Zeit mithilfe von Einbäumen zur Krautinsel übersetzten. Walter Torbrügge führt diesbezüglich zwei Einbäume an, die am Westufer des Sees bei Prien am Chiemsee entdeckt wurden, jedoch nicht sicher in die Kupferzeit zu datieren sind. Der erste eindeutige Beleg für die Nutzung von Einbäumen auf dem Chiemsee stellt ein Exemplar dar, das 1994 am Südufer des Sees entdeckt wurde und mithilfe radiometrischer Analysen in die Zeit zwischen 395 und 210 v. Chr. datiert werden konnte. Trotz seines nur noch fragmentarischen Erhaltungszustandes konnten innerhalb des Bootsraumes zwei Querrippen beobachtet werden, ähnlich dem etwa zeitgleichen latènezeitlichen Einbaum von Kempfenhausen im Starnberger See. Aus der römischen Siedlung Bedaium, dem heutigen Seebruck, am Nordufer des Sees gelegen, stammt ein ca. 30 cm langer Spielzeugeinbaum, der anhand der vergesellschafteten Terra-Sigillata-Scherben in das 1. Jahrhundert n. Chr. datiert werden konnte.

 

Zu Beginn des Jahres 2003 entdeckten Mitglieder der Wasserwacht Breitbrunn im Kailbacher Winkel des nördlichen Chiemsees einen weiteren Einbaum in ca. 12 m Wassertiefe. Im Mai 2003 erfolgte die unterwasserarchäologische Ausgrabung und Dokumentation des Wasserfahrzeugs durch die BGfU im Auftrag des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege. Nach Errichten einer Arbeitsplattform und Installation eines Grabungsrahmens konnte durch Sedimentbohrungen im Umfeld des Einbaumes festgestellt werden, dass dieser in keine organischen bzw. anthropogen beeinflussten Schichten, sondern lediglich in ein steriles Seekreidepaket eingebunden war. Der Einbaum war Kiel oben auf dem Seegrund zu liegen gekommen, die Bordwände schienen durch eine gleichgerichtete Krafteinwirkung verdrückt und vom Heckteil abgerissen worden zu sein. Dementsprechend zeigte nach Freilegung die ehemalige Backbordseite (in der Grafik unten) mit der Außenseite plan nach oben, während die ehemalige Steuerbordseite (in der Grafik oben) mit der Innenseite nach oben wies und vom ehemaligen Einbaumboden bedeckt wurde. Die Bruchkante der Backbordseite ist im Heckbereich noch deutlich zu erkennen. Da sich an die ehemalige Backbordwand ein relativ steil ansteigender und etwa 10 m hoher Hang in Richtung Seeufer anschloss, ist es durchaus denkbar, dass sich größere Mengen an Seesediment von diesem Hang lösten und mit großer Geschwindigkeit und Energie auf den Einbaum rutschten. Die zum Teil nur 2 bis 3 cm dicken Bordwände hielten dem Druck der Sedimentmassen nicht stand und brachen in der Folge vom noch robusteren Heck ab. In einem in diesem Bereich eingerichteten Querschnitt des Bootes wird deutlich, dass auch die Bordwände des noch erhaltenen Hecks derselben Krafteinwirkung ausgesetzt waren und um jeweils 40 Grad in Richtung der ehemaligen Steuerbordseite verdrückt wurden (s. Profile im Heckbereich).

 

Aufgrund der erhaltenen Bug- und Heckpartien konnte eine ehemalige Einbaumlänge von ca. 6,45 m ermittelt werden. Die Breite dürfte ausgehend vom Heck sowie ausgehend von erhaltenen Abschnitten des Bootsbodens zwischen 70 und 90 cm betragen haben. Als wichtige Details sind vier rundliche bzw. ovale Aussparungen an der ursprünglichen Oberkante der Backbordseite hervorzuheben, die teils komplett in das Holz der Bordwand integriert sind und teils Anschluss an die Oberkante der Backbordseite haben. Sie könnten zur Aufnahme von Rudern bzw. zur Führung von Netzleinen verwendet worden sein. Die Nutzung dieses Einbaumes als Fischerboot wird darüber hinaus durch insgesamt acht Netzsenker belegt, die in unmittelbarem Umfeld - meist direkt neben der ehemaligen Bordwand - dokumentiert werden konnten. Vertikale Schnittlinien an der Außenseite der ehemaligen Backbordseite stellen möglicherweise Zugspuren dar, die durch das Einholen der Netze entstanden sind.

 

Begleitende Holzanalysen durch Franz Herzig vom Denkmalamt ergaben, dass er Einbaum aus Eichenholz gefertigt wurde. Radiometrische AMS-Analysen des Leibniz Labors für Altersbestimmung und Isotopenforschung der Christian-Albrechts-Universität Kiel lieferten ein Entstehungsdatum zwischen 1301 und 1408 n. Chr. Somit konnte am Kailbacher Winkel ein Einbaum dokumentiert werden, der die Nutzung dieses Bootstyps auf dem Chiemsee während des Mittelalters belegt.

 

 

Tobias Pflederer