Unterwasserarchäologie an den Brionischen Inseln 1996-1997                                      Ein kroatisch-bayerisches Kooperationsprojekt

Einführung

Seit 1994 pflegt die Bayerische Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e.V. (BGfU) Kontakte zur archäologischen Denkmalpflege in Kroatien. Dort führt eine kleine Gruppe von Archäologiestudenten und Sporttauchern unter Leitung von M. Orlic und M. Jurisic´ (Office for the protection of cultural and natural monuments, Archaeology Department), mit geringen finanziellen Mitteln Ausgrabungen in den kroatischen Küstengewässern durch. Nach Teilnahme an mehreren Grabungskampagnen zur Erforschung eines spätrömischen Schiffswracks zwischen 1994 und 1996 vor der Insel Hvar wurde die Idee geboren, durch gemeinsame unterwasserarchäologische Projekte in eine noch engere Zusammenarbeit zu treten.

 

Erste Überlegungen, ein weiteres Schiffswrack in der Adria auszugraben, wurden infolge des Angebotes, die Prospektion des römischen Hafens in der Verige Bucht auf der Insel Veli Brijun (Brioni) weiterzuführen, zurückgestellt. Veli Brijun (Brioni) ist die größte von 14 Inseln des gleichnamigen Archipels an der Südwestküste Istriens oberhalb von Pula und war bis 1893 eine verlassene, von Macchie überwucherte Insel. In diesem Jahr erwarb der österreichische Industrielle Paul Kupelwieser die Inseln und begann, Brioni urbar zu machen. Bei den Rodungsarbeiten stieß man auf mehrere archäologische Fundplätze. 1899 begann der in Pula tätige Marineschullehrer Anton Gnirs mit ersten Ausgrabungen auf der Insel, die mit Ausbruch des 1. Weltriegs ihr Ende fanden. Ab 1945 wurde Brioni Sommerresidenz des jugoslawischen Staatspräsidenten Tito und blieb damit bis 1980 für Besucher weitestgehend gesperrt. Die bedeutendste Anlage auf Brioni ist der große Villenkomplex in der Verige Bucht, dessen Hafen seit Anfang der 1980er Jahre vom kroatischen Denkmalamt erforscht wird. Dabei fand eine genaue Vermessung der heute unter Wasser liegenden Küstenbefestigung statt. Besonders detailliert wurde die aus großen Quadersteinen errichtete Süd- und Nordmole untersucht, in deren Umfeld mehrere Sondagen zur Klärung der Konstruktion stattfanden. Vor allem westlich der nördlichen Mole fand sich dabei eine 1,7 bis 2,0 m mächtige Abfolge von Kulturschichten und Meeressedimenten, die eine Benutzung des Hafens in der Mitte des 1., vor allem aber im 2. und 3. sowie bis ins 5. Jahrhundert belegen.

 

Bedingt durch die technischen Möglichkeiten dieser Sondagen konnte jedoch eine genauere archäologische und sedimentologische Ansprache der einzelnen Schichten nicht erfolgen. Um die bisherigen Ergebnisse zu erweitern, entstand so die reizvolle Idee, siedlungsarchäologische Grabungstechniken aus Binnengewässern in den mediterranen Bereich zu transferieren. Diese Idee wurde auch von Prof. H. Bender, Universität Passau, unterstützt, der sich dankenswerterweise bereiterklärte, die wissenschaftliche Leitung des Kooperationsprojektes von bayerischer Seite aus zu übernehmen. Ebenfalls konnte die Katalogisierung und Bearbeitung des Fundmaterials durch die Studenten der Universität Passau erfolgen. Für die Untersuchung von Sedimentproben wurde K. Schwarzer vom Geologisch-Paläontologischen Institut der Universität Kiel gewonnen. Die Finanzierung der Unternehmung für die Jahre 1996 und 1997 konnte durch den Freistaat Bayern mit Mitteln der Bayerisch - Kroatischen Kommission gesichert werden.

 

Die erste Kampagne des Gemeinschaftsprojekts im September vergangenen Jahres hatte das Ziel, anhand zweier Probeschnitte die Strategraphie zu klären und entsprechende Proben für sedimentologische Untersuchungen zu entnehmen. Um möglichst an die kroatischen Grabungsergebnisse anknüpfen zu können, fand die Untersuchung im Randbereich von zwei ehemaligen Sondagegruben statt.

 

 

Grabungstechnisches Vorgehen

Die aus siedlungsarchäologischen Grabungen in Binnengewässern bekannten, auf den Seeboden aufgelegten Vermessungsrahmen schieden wegen zu starker Unebenheiten des Meeresbodens aus. Ebenfalls mußte die Konstruktion möglichst stabil sein, um die vorhandenen Sondagegruben zu überspannen und um Bewegungen durch Wellenschlag zu minimieren. Die gewählte Konstruktion besteht aus verzinkten Präzisionsvierkantrohren, die mit kreuzförmigen Verbindungsknoten zu einem starren Rahmen mit einer Gittergröße von 2 x 2 m montiert werden können. Verschiebbare Standfüße erlauben ein horizontales Einrichten des Vermessungsrahmens. Um Ungenauigkeiten beim Loten und Nivellieren der Höhen durch die Meeresströmungen zu vermeiden, fand eine Einmessung der Funde über eine Drei-Punkt-Triangulation statt. Bei der auch als Direct Survey Measurement-Method (NAS-Guide) bekannten Vermessung werden an drei Seiten des Rahmens Maßbänder in bekanntem Abstand montiert und jeder Punkt damit angemessen. Das Resultat sind drei Werte, die mittels eines eigens entwickelten Computerprogramms an Land in X, Y und Z-Koordinaten überführt werden können. Der Sedimentabtrag wurde über zwei, starr am Vermessungsrahmen befestigte Waterdredges vorgenommen. Ein mit Reduzierstücken versehener, daran angeschlossener Schlauch ermöglichte dem Ausgräber sowohl Leistung als auch Position des Saugrohres seiner Tätigkeit anzupassen. Um einem Verlust versehentlich eingesaugter Kleinfunde vorzubeugen, befand sich am Hauptrohrende ein Netz, dessen Inhalt nach jedem Tauchgang zum Feinsieben an Land gebracht wurde. Während die gerade beschriebenen, grabungstechnischen Hilfsmittel meist neu für diese Untersuchung angefertigt und abgestimmt werden mußten, konnten die Profie in bereits bekannter Form mit Plexiglasplatten im Maßstab 1:1 abgenommen werden.

 

 

Archäologische Interpretation der Befundabfolge

Den unteren Abschluß des Profils bildet eine weitestgehend sterile Schicht (Befund 9.0), in der bisher Muscheln, botanische Reste und Funde nur vereinzelt dokumentiert werden konnten. Im darauffolgenden Befund 8.0 nehmen organische Bestandteile langsam zu, die Schichtkonsistenz wird sandiger, erste Muschelansammlungen tauchen auf, und schließlich belegen erste Keramikbruchstücke am Übergang zu Befund 7.0 den Beginn der Besiedlung im näheren Umfeld des Hafens. Die folgenden drei Schichten (Befund 7.0 - 5.0) sind in ihrer Zusammensetzung nahezu identisch. Lediglich die Durchmischung mit unterschiedlichen Muschelsorten, im Befund 7.0 mit Turmmuscheln und Befund 5.0 mit Purpurschnecken, läßt eine Trennung zu. Erst in Befund 4.0 weisen Sandeinlagerungen und zerbrochene Muscheln auf veränderte Sedimentationsverhältnisse hin. Das aus diesen Ablagerungen (Befund 7.0 - 4.0) geborgene Fundmaterial belegt eine kontinuierliche Benutzung des Hafens vom 1. - 5. nachchristlichen Jahrhundert. Vereinzelt geborgene Funde aus dem 6. Jahrhundert weisen auf einen Niedergang der Besiedlung auf der Insel nach dem Untergang des Weströmischen Reiches hin.

 

Nach Verlassen der Anlage im 5. Jahrhundert bilden sich weitgehend sterile Ablagerungen (Befund 3.0 / 2.0), die stark mit organischen Fasern durchsetzt sind. So wurden die Kulturschichten rasch abgedeckt. Steinansammlungen an der Basis von Befund 2.0 können als Belege für eine Benutzung der Ruinen als Steinbruch in folgenden Jahrhunderten gesehen werden. Rezente Sandlagen (Befund 1.0) schließen das Profil ab und bilden den heutigen Meeresboden. Während bei der Betrachtung des Fundmaterials auf der Grabung eine kontinuierliche Ablagerung sichtbar war, ergeben sich bei der Auswertung nun Hinweise, daß zumindest partiell Material aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. in älteren Schichten vorhanden ist. Eine genaue Quantifizierung und Einschätzung kann erst am Ende der Auswertung erfolgen. Anzeichen für Schichtverwerfungen oder -durchmischungen wurden nicht beobachtet. Auch weist das Fundmaterial nur geringe Anzeichen einer Verlagerung, z.B. durch Wellenschag, auf. Lediglich im Befund 4.0 deuten zerbrochene Muscheln und Sandeinlagerungen auf eine mögliche Schwankung des Meeresniveaus am Übergang zu Befund 3.0 hin.

 

 

Funde

Neben der Auslese des abgesaugten Sediments nahm das studentische Team der Universität Passau, unter der Leitung von Prof. H. Bender, die Aufnahme und Reinigung der geborgenen Funde im mittelalterlichen Wehrturm der Insel vor. Da eine Ausfuhr des Materials nicht möglich ist, wurden wissenschaftlich relevante Objekte vor Ort gezeichnet. Zudem erfolgte die Inventarisation auf eigens dafür angefertigten Fundzetteln und computergestützt, so daß am Ende der Kampagne ein vollständiger Katalog als Datenbank (Lars 5.01) vorlag. Eine erste Bestimmung der archäologischen Objekte nach Herstellungsort, Alter, Material und Funktion fand anhand der aus Passau mitgeführten Literatur statt. Im Anschluß an die Inventarisation wurden die Funde als erste konservatorische Maßnahme, zur Reduzierung des Salzgehaltes, in Süßwasser gelegt, wo sie ein Jahr verbleiben müssen. Erwartungsgemäß stellen Bruchstücke von Amphoren, grober Gebrauchskeramik und feinem Geschirr den Großteil des geborgenen Materials dar. Zur Datierung der Befunde ist die Keramikgruppe der Terra Sigillata wichtig, die mit mehreren Gefäßresten in den Schichten des 2.-5. Jahrhunderts belegt ist. Für die zweite Hälfte des 1. Jahrhunderts nimmt die schwarzglänzende Ceramica a Pareti Sottili quantitativ einen höheren Stellenwert ein. Mehrere Öllampenfragmente und Netzsenker runden das keramische Fundspektrum ab. Die noch nicht abgeschlossene Restaurierung der stark korrodierten Münzfunde verhindert bisher eine chronologisch differenziertere Betrachtung der Siedlungsabläufe. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang auch organische Funde sowie botanische Reste, die sich, ähnlich wie in den Pfahlbausiedlungen der Alpenregion unter Abschluß von Luftsauerstoff erhalten haben. Die Auswertung der bereits jetzt geborgenen Funde wird sicherlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen, da auch eine Verknüpfung mit dem ebenfalls reichhaltigen Material vorangegangener, langjähriger Kampagnen der kroatischen Wissenschaftler erfolgen muß.

 

 

Ergebnisse / weiteres Vorgehen

Durch den Einsatz bereits in Binnengewässern erprobter Dokumentationsverfahren ist es gelungen, für die reichhaltigen Funde erste Ansätze einer stratigraphischen Zuordnung zu erhalten. Die Prospektionsphase hat aber auch gezeigt, daß eine Reihe von archäologischen Fragen nicht ohne die Mitwirkung von Naturwissenschaftlern geklärt werden können. Neben geologischen Untersuchungen zur Schichtzusammensetzung, der Schichtgenese und der Herkunft der Schichtbestandteile soll eine Auslese von organischen Resten stattfinden. Dabei werden Samen von Nutz- und Wildpflanzen verprobt, die später Rückschlüsse über die Vegetationsverhältnisse in römischer Zeit erlauben sollen. Dieses Projekt wird in Kooperation zwischen der Universität München, Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichte und Provinzialrömische Archäologie, Abteilung Vegetationsgeschichte, unter der Leitung von J. Küster und durch Zenata Sostaric´ Department of Botany, Faculty of Sciences der Universität in Zagreb durchgeführt. Ob es sich bei der großen Anzahl von Murex-Muscheln um eine natürliche Population handelt oder ob die Schnecken auf eine Produktion von Purpur zum Färben von Stoffen im Umfeld des Hafens hinweisen, wird Privatdozent J. Peters der Universität München zu klären versuchen.

 

Das Kooperationsprojekt Brioni ist ein gutes Beispiel für die Möglichkeiten, die eine engagierte und bilaterale Zusammenarbeit zwischen Archäologen und speziell ausgebildeten Sporttauchern bietet. Die Hilfe zur Selbsthilfe durch den Transfer spezieller Grabungsgerätschaften, die Weiterbildung von Studenten, die Durchführung naturwissenschaftlicher Untersuchungen und nicht zuletzt die Bildung länderübergreifender Freundschaften ermöglichen die Rettung bedrohter Kulturgüter im Zeichen eines europäischen Gedankens.

 

 

Hubert Beer, Janine M. van Brackel, Robert Koburg, Marcus Prell