Der Fund, die Dokumentation und die Bergung des spätbronzezeitlichen Einbaums von Wasserburg im Bodensee war ein Aufsehen erregendes Ereignis. Mit einer Datierung in das Jahr 1124 ± 10 v. Chr. und damit in die Stufe Ha A1/A2 stellt er das bislang älteste Wasserfahrzeug dar, das jemals in Bayern entdeckt wurde. Darüber hinaus ist er der bislang einzig gesicherte und wissenschaftlich dokumentierte Einbaumfund am Bodensee überhaupt. Neben zwei neolithischen Miniatur- oder Spielzeugeinbäumen aus Sipplingen-Osthafen und Arbon-Bleiche ist lediglich die Skizze eines nicht genau dokumentierten Einbaumes bekannt, der Anfang des 20. Jahrhunderts in der spätbronzezeitlichen Siedlung von Wollmatingen-Langenrain (10. Jahrhundert v. Chr.) entdeckt wurde. Neben der Bedeutung des Wasserburger Einbaums als Einzelfund war aber auch die Frage zu klären, in welchen geo- und hydroarchäologischen Kontext das Wasserfahrzeug eingebettet war. War der Einbaum als Einzelfund, z. B. als angeschwemmtes Verlustobjekt oder als aufgegebenes, funktionsuntüchtiges Boot zu interpretieren? Oder gab es möglicherweise Hinweise auf eine nahegelegene, bislang unentdeckte bronzezeitliche Siedlung, die mit dem Einbaum und dessen Fahrern in Verbindung stand?
Von Tröltsch berichtet Anfang des 20. Jahrhunderts in seiner Monografie „Die Pfahlbauten des Bodenseegebietes“ von Überresten einer Pfahlstation „unfern von Aeschach bei Lindau zwischen der Villa Amsee und der Mündung des Rickenbaches“, einem Areal, das dem heutigen Gebiet beidseits der Galgeninsel am Nordufer des Bodensees entspricht. Er führt außerdem „Pfahlbaugeräte der Bronzezeit“ an, hierunter zwei Schaftlappenbeile sowie eine Gussform für Bronzenadeln, die im Bereich der Galgeninsel bzw. am Seeufer vor Lindau aufgefunden worden sein sollen. Gerade die erwähnte Gussform wäre ein starker Indikator für eine prähistorische Siedlungstätigkeit. Taucharchäologische Prospektionen mit dem Focus auf oberflächlich sichtbare Pfahlsetzungen verlieben am Nordufer bei Lindau (vor allem im Bereich der erwähnten Galgeninsel) sowie auch um die Insel Lindau selbst ohne konkreten Nachweis von prähistorischen Seeuferrandsiedlungen. Systematische sedimentologische Untersuchungen erfolgten damals allerdings nicht.
Anders als im westlichen Bodenseeareal besteht im östlichen und damit im bayerischen und österreichischen Teil ein starker Sedimenteintrag durch die zuführenden Flüsse, den Rhein bzw. den Rheinkanal sowie durch die Bregenzer und Dornbirner Ach. Im Mündungsbereich des Rheinkanals wurden ca. 3 Millionen Tonnen Sedimenteintrag pro Jahr gemessen. Es muss davon ausgegangen werden, dass der massive Niederschlag an Sedimenten in den unmittelbar benachbarten Gebieten zu einer Überlagerung von ehemals vorhandenen archäologischen Befundsubstanzen geführt haben kann. Kulturschichten bzw. die angesprochenen Pfahlbaureste dürften damit – falls überhaupt vorhanden – in bereits verlandeten Bereichen bzw. unter starken Sedimentlagen zu vermuten sein.
Der absolute Höhenwert der Einbaumfundstelle spricht gegen eine rezente Sekundärlage des Objektes. Mit 392,1 m über Normalniveau deckt sich die Position weitgehend mit den Höhenwerten der westlich angrenzenden, spätbronzezeitlichen Fundstellen am Bodensee. Die Siedlungsschichten der Seeuferrandsiedlung von Unteruhldingen-Stollenwiesen befinden sich beispielsweise grob zwischen 393 und 394 Meter, die von Hagnau-Burg zwischen 390 und 394 Meter über Normalniveau. Der Einbaum dürfte somit am bronzezeitlichen Ufer oder zumindest im Flachwasserbereich vor dem heutigen Wasserburg abgelagert worden sein. Ob der Einbaum mit den erwähnten Siedlungen in Zusammenhang stand, ist allerdings fraglich. Beim Vergleich mit den Schlagdaten der bekannten spätbronzezeitlichen Siedlungen fällt auf, dass der Einbaum mindestens 50 Jahre vor deren frühester Datierung genutzt wurde. Auf der Suche nach zeitgleichen Befunden (Ha A1/A2) im Umfeld der Fundstelle muss neben spätbronzezeitlichen Einzelfunden vor allem das Gräberfeld von Kressbronn-Hemigkofen (Bodenseekreis) angeführt werden, das in das 13. bis 12. vorchristliche Jahrhundert (Bz D / Ha A) datiert und in Luftlinie gerade einmal 2 Kilometer von der Fundstelle des Einbaumes entfernt ist . Auch wenn die zum Gräberfeld zugehörige Siedlung nicht identifiziert ist, scheint eine Lage in näherer Umgebung, evtl. auch in Sichtweite der Grablegen, wahrscheinlich.
Vor diesem Hintergrund erfolgten Ende 2018 sowie im Oktober 2019 taucharchäologische Prospektionen durch Forschungstaucher der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU) in Absprache mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) und dem Landratsamt Lindau. In ca. 70 Metern Entfernung und auf nahezu identischer Höhe zur Einbaumfundstelle konnten bereits beim ersten Tauchgang mehrere gering in das Oberflächensediment eingebettete und bearbeitete Hölzer aufgefunden werden. Bei den 11 verprobten Hölzern handelte es sich vorwiegend um erodierte, radial und im Seitenbrettformat zugeschnittene Hölzer. Eine dendrochronologische Einordnung gelang aufgrund der geringen Anzahl an Jahrringen jedoch nicht.
Viel aufsehenerregender war inmitten der Hölzer eine oberflächlich sichtbare Schädelkalotte (calva), die in eine Seekreidelinse eingebettet und von tonigem, bläulich grauem Schluff umgeben war (Abb. 4). Bei der ersten taucherischen Begutachtung konnten sowohl die sutura sagittalis als auch die sutura coronalis identifiziert werden. Die sutura sagittalis schien dabei nicht vollständig verwachsen zu sein, was auf ein jüngeres Alter des verstorbenen Individuums hindeutete. Nach Klärung der weiteren Zuständigkeiten – vor allem aus kriminalrechtlicher Sicht – wurde der Schädel durch eine kleine Sondage stratigraphisch ergraben und zur anthropologischen Begutachtung weitergeleitet.
Die stratigraphischen Beobachtungen, die sich vorwiegend am Südprofil ablesen lassen, können wie folgt beschrieben werden: Unter einer 2-3 cm dicken Schicht aus Seekreide und Sand mit nur vereinzelten Mollusken (Befund 0) schließt sich ein sehr kompaktes und verbackenes, hartes Schichtpaket aus zahlreichen Mollusken, Sand und kleineren Hölzern an (Befund 1). Im unteren Anteil dieser verbackenen Schicht ist der Holzanteil höher (Befund 2) und es finden sich auch einzelne Holzkohlestücke. Daran schließt sich ein Schichtpaket aus weitgehend sterilem, tonigem und dunkelblauem Schluff an (Befund 3), dem die Schädelkalotte aufliegt. Die Befunde 1 und 2 laufen am Schädel leicht nach oben gebogen auf. Diese dürften sich daher erst nach der Ablagerung des Schädels entwickelt haben. Aus Befund 1 und 2 entstammt ein bearbeitets Brettfragment aus Eichenholz, das zur Datierung der Schicht mit dem Schädelfund herangezogen werden konnte und daher zur weiteren Altersbestimmung verprobt wurde – wie auch zwei Holzkohlestückchen aus demselben Befund. Leider gelang an beiden Proben – sowohl am bearbeiteten Eichenbrett als auch an einem der Holzkohlestückchen – keine vorgeschichtliche Datierung. Die mittels C14-Analyse eingehängte dendrochronologische Datierung des Eichenbretts ergab ein Fälldatum „nicht vor 637 n. Chr.“ (Angaben F. Herzig / Dendrolabor des BLfD). Am Holzkohlestück konnte mittels C14-Analyse ein weitgehend deckungsgleiches Datum des 6./7. Jahrhunderts n. Chr. ermittelt werden. Nachdem beide Funde in das frühe Mittelalter weisen, dürfte auch die Schädelkalotte ähnlich alt sein – auch wenn die Datierung an der Kalotte selbst noch nicht durchgeführt wurde.
Die anthropologische Begutachtung (Dr. M. Trautmann, München) an der geborgenen calva ergab morphologische Kriterien für ein „robustes weibliches Individuum“, verlässliche Kriterien für die Geschlechtsdiagnose sind jedoch nicht erhalten. Die Suturen sind ektocranial offen, innen stellenweise am Verwachsen. Eine Sterbealtersschätzung von 25-35 Jahren ist damit am wahrscheinlichsten. Weitere Anhaltspunkte für die Sterbealtersdiagnose sind nicht erhalten. Der erhaltene Schädelanteil wies keinerlei pathologische Veränderungen auf.
Auch wenn mit dem Einbaum korrelierende Siedlungsschichten der späten Bronzezeit bislang im direkten Umfeld bislang nicht entdeckt werden konnten, bleiben die frühmittelalterlichen Befunde nicht minder interessant. In der nahegelegenen Ortschaft Hengnau wurden 1939 acht bis neun Körpergräber entdeckt, die vorwiegend in Ost-West-Orientierung angelegt wurden. Grabbeigaben, wie eine 38 cm lange Lanzenspitze mit Tülle sowie Perlen datieren die Grablege in das frühe Mittelalter. Wasserburg selbst wurde erstmals im Jahr 784 urkundlich erwähnt. In einer St. Gallener Urkunde wird der Ort „wazzarburuc“ genannt. Doch es gibt auch Hinweise auf frühmittelalterliche Gräber vor der erstmaligen, urkundlichen Nennung. Im Jahr 1997 wurde südwestlich des Schlosses von Wasserburg bei Aushubarbeiten für ein Garagenfundament eine beigabenlose Körperbestattung entdeckt. Das in Ost-West-Orientierung niedergelegte Skelett einer offensichtlich weiblichen Person lag dem anstehenden Seekies direkt auf und befand sich 70 cm unter der heutigen Oberfläche. Die an der Bestattung durchgeführte C14-Analyse ergab mit einem kalibrierten Datum von 545 – 685 n. Chr. eine nahezu zeitgleiche, frühmittelalterliche Datierung. Das Vorhandensein eines ausgedehnteren Bestattungsplatzes um den Skelettfund auf der Insel wurde vermutet.
Tobias Pflederer