Der keltische Einbaum von Kempfenhausen

Einbäume wurden am Starnberger See über mehrere Jahrtausende hinweg verwendet. Der bislang älteste Einbaum des Sees und damit der älteste Bayerns überhaupt wurde 1986 im Bereich der Roseninsel entdeckt und konnte anhand dendrochronologischer Untersuchungen in die Urnenfelderzeit (900 v. Chr.) datiert werden. Ein weiteres Wasserfahrzeug dieser Art aus der Gegend um Seeheim wurde zwischen 980 und 1150 n. Chr. angefertigt (radiometrische Analysen) und belegt damit deren Nutzung auch während des Mittelalters. Eine Bestandsaufnahme aus dem Jahre 1842 listet neben 74 Bretter- und 4 großen Transportschiffen immer noch 50 Einbäume auf, die im Starnberger See zu dieser Zeit eingesetzt wurden. Gegenüber den Bretterbooten waren sie robuster und langlebiger und galten damit als das traditionelle Fahrzeug der Fischer. Für das Fischen mit dem großen Zugnetz (Segen), der gebräuchlichsten Fangmethode bis in das 20. Jahrhundert, waren sie hervorragend geeignet. Die aufwendige und damit teure Art der Herstellung sowie der Mangel an geeigneten Eichenstämmen mag jedoch in der Folgezeit zum Verschwinden dieser urtümlichen Bootsform am Starnberger See geführt haben: "In ihnen [Uferhütten] liegen die, nur noch zu Zwecken der Fischerei dienenden Einbäume, in ihrer primitivsten Gestalt eigentlich nur ausgehöhlte kräftige Eichenstämme, welche früher fast das einzige Fahrzeug der Seeanwohner bildeten und erst in unserem Jahrhundert durch die Plätten oder die eleganteren Constructionen der neuesten Zeit verdrängt wurden". Insgesamt mehr als 10 Einbäume wurden im bzw. am Starnberger See bereits dokumentiert, darunter ein Exemplar, das im Jahre 1912 direkt in die Prähistorische Staatssammlung München überführt wurde und den Endpunkt der jahrtausendealten Tradition des Einbaumes am Starnberger See markiert.

 

Bereits im Jahr 2000 führten unterwasserarchäologische Prospektionen des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege zur Neuentdeckung eines weiteren Einbaumes vor Kempfenhausen am Ostufer des Sees. Die systematische Dokumentation des Wasserfahrzeuges erfolgte im September 2001 durch die BGfU im Auftrag des BLfD.

 

Das Boot misst 5,38 m in der Länge und 0,62 (Heck) bis 0,52 m (Bug) in der Breite. Das Heck ist mit einer Wandstärke von mehr als 10 cm massiv und plan ausgearbeitet, während der Bug verjüngend und leicht nach oben gezogen ausläuft. Zwei nach unten gebogene Querrippen trennen Bug bzw. Heck vom restlichen Bootsinnenraum ab und folgen dabei der Rundung der Bordwand. Da der Höhenunterschied zwischen Querrippen und Bordwand bzw. Boden maximal 6 bis 8 cm beträgt, dürften diese kaum als echte Wasserbarrieren (Schotten) für Bug und Heck fungiert haben. Eine halbrunde, ca. 10 cm lange Einbuchtung auf Steuerbordseite in Höhe der hinteren Querrippe könnte der Aufnahme eines Ruders oder Stabes gedient haben. Darüber hinaus ist die Backbord- im Vergleich zur Steuerbordseite wesentlich schlechter erhalten. Dies wird insbesondere in der Bootsmitte deutlich (siehe Querprofil), die nur noch eine sehr dünne, z. T. überhaupt nicht mehr vorhandene Wandung auf der Backbordseite aufweist. Weitere Belege für den desolaten Zustand des Wasserfahrzeuges in diesem Bereich sind die beiden großen Defektstellen sowie die massiven Risse, die den Einbaum zum Bug hin durchziehen. Demgegenüber scheint die Steuerbordseite bis zum oberen Abschluss der Bordwand vollständig (25 bis 30 cm hoch) und in ihrer ursprünglichen Mächtigkeit erhalten. Die Tatsache, dass sich gerade die stark beschädigte Backbordseite unter Seekreidesediment befand und die gut erhaltene Steuerbordseite ungeschützt aus diesem Sediment hervorragte, lässt die Überlegung zu, dass der Einbaum primär an anderer Stelle bzw. in anderer Lage schädigenden Einflüssen ausgesetzt war und erst sekundär an den jetzigen Fundort transloziert wurde. Hierbei ist besonders an eine zumindest intermittierende Lagerzeit außerhalb des Wassers zu denken. Dafür sprechen vor allem die langgezogenen Risse auf der Backbordseite bzw. in singulärer Ausprägung im Heck, die in ihrer Form am ehesten an sog. Trockenrisse erinnern.

 

Die Anlage eines Querprofils ließ erkennen, dass das Boot lediglich in ein fundleeres Seekreidepaket eingelagert war. Organische Spuren bzw. anthropogene Kulturschichtzeiger konnten in der dokumentierten Schichtabfolge von unterschiedlichen Seekreidebändern nicht nachgewiesen werden. Auch begleitende Sedimentbohrungen in einer Tiefe von bis zu 2,0 m lieferten identische Befunde. Es gelang damit nicht, mögliche Hinweise auf eine Verbindung des Einbaumes zur nahegelegenen, neolithischen Pfahlstation von Kempfenhausen zu ermitteln. Angesichts des negativen Befundes im Querprofil sowie aufgrund der möglichen Sekundärlage des Einbaumes und der damit verbundenen Problematik bei der zeitlichen Einordnung desselben entschloss man sich zu einer Datierung des Bootes mithilfe der konventionellen 14C-Methode. Diese wurde durch das Labor für Isotopen- und Altersforschung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel durchgeführt und ergab eine erste, grobe Datierung des Wasserfahrzeuges zwischen 485 und 45 v. Chr. Für das kommende Jahr ist die Dokumentation eines weiteren Einbaumes aus der Latènezeit bereits geplant. Dieser wurde schon 1994 am Südufer des Chiemsees entdeckt und konnte durch radiometrische Analysen in die Zeit zwischen 395 und 210 v. Chr. datiert werden. Es bleibt abzuwarten, ob im Vergleich beider Wasserfahrzeuge übereinstimmende, typologische Merkmale festgestellt werden können.

 

 

Tobias Pflederer