Unterwasserarchäologie in der hessischen Lahn                                     "Die älteste Mühle Hessens"

Im Zuge einer Nachforschung zu einer möglichen ehemaligen Schiffslände für das römische Waldgirmes der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie (BGfU), haben sich Überreste der mittelalterlichen Werth-Mühle an der Ortsgrenze zwischen Wetzlar-Garbenheim und Lahnau-Dorlar am Flussgrund der Lahn gefunden.

 

Die an dieser Stelle in den vergangenen beiden Jahren mit dem Side-scan Sonar wiederentdeckte „Furt“ hat sich als die „Werderfurt“ herausgestellt, die 1314 erstmalig erwähnt ist. Nähere Untersuchungen vom Boot und bei Tauchgängen haben ergeben, dass es sich um ein mittelalterliches Mühlenwehr der „mule de Werdenhandelt, welche 1318 erstmals erwähnt wurde. Das Wehr ist in einem Winkel von 30° zur Uferlinie errichtet, um den Wasserdruck oberhalb zu erhöhen und um das Mühlrad der direkt unterhalb gelegenen Mühle unterschlächtig anzutreiben.

 

Bei Tauchgängen der BGfU-Taucher wurde die Mühlradgrube mit einer Länge von ca. zwei Taucherlängen und einer Breite von einer Taucherlänge geortet. Die „Vermessung“ mithilfe von Körpermaßen wurde notwendig da diese mit Mulm gefüllt ist und keinerlei Sicht zulässt. Der Scheitelpunkt der Grube liegt ca. 80 cm unter dem Flussgrund. Die Lahn hat hier eine Tiefe von 3 Metern. Von der Mühlradgrube in Richtung Flussmitte erhebt sich eine „Werth“ (mittelhochdeutsch: Insel / Halbinsel) ca. 50 cm über den Flussgrund. Hier fanden sich Reste von Bauhölzern und Pfosten der Mühle, die von Dr. Thorsten Westphal, Dendro-chronologisches Labor Westphal Frankfurt (DLWF) zwischen 1106 (durch ein Halbholz) und 1199 AD (durch eine Schwarte) datiert werden konnten. Die vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Dr. Sabine Schade-Lindig) genehmigte Unterwasser-Nachforschung fand in Kooperation mit in dem Förderverein Römisches Forum Waldgirmes e.V. und dem Tauchclub Wetzlar (VDST) statt. 

 

Besondere Aufmerksamkeit erregte ein wenige Meter unterhalb der Mühlenüberreste gefundener Mühlstein aus Eifel-Basalt mit einem Durchmesser von 91,5 cm. Dieser besitzt auf seiner Oberseite einen Kragen um sein Auge und ist abgedacht gearbeitet. Eine zeitliche Einordnung fiel bislang schwer, da sein Profil und die Aufhängung dem „Typ Avenche“ (französische Schweiz; im Römischen Reich: Aventicum) bzw. Nord-gallorömischen Mühlsteinen (heutiges Nord-Frankreich und Belgien) entspricht, was für eine Herstellung des Steines zwischen 800 und 1000 n.Chr. spricht (Dr. Fritz Mangartz, Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz (RGZM)). Allerdings kommt auch ein Zeitfenster zwischen 50 und 250 n.Chr. infrage (Samuel Longepierre, 2007).

 

Der Mühlsteinrest stand zunächst als Läufer (Oberstein einer Mühle) mit 3 eventuell 4 Balancierhauen im Dienst des Getreidemahlens. Nach seinem Bruch wurde die Bruchkante geglättet, da das Auge noch erhalten blieb. Somit konnte der Reststein senkrecht stehen und als Achslager für die Verbindung zum Mühlrad dienen. Dies wird aufgrund von Verkeilungsspuren für eine Buchse im Auge erkennbar. Als 3. Sekundärnutzung war er augenscheinlich als Komposit-Bodenstein mit einem neuen, größeren Läufer über ihm verwendet worden, wovon Überstände am Rand und in der Mitte zeugen. Dabei mussten allerdings auch das alte Auge und die Hauenlöcher verschlossen werden, damit das Mehl nicht heraus rieseln konnte. Außerdem wurde es notwendig, den zu ca. 60 % erhaltenen Mühlsteinrest mit Kompositsteinen zu ergänzen, die von einem Eisenband zusammengehalten worden sein mussten.  Kettenspuren am Auge und auf seiner Oberseite bezeugen schließlich die Nutzung als Gegengewicht, eventuell jedoch auch seine Verwendung als Anker- bzw. Anlegerstein. Diese Mehrfachnutzung verdeutlicht den hohen Wert, den selbst Bruchstücke eines Basaltmühlsteins hatten und den Ideenreichtum der mittelalterlichen Müller. Der jüngere Müller hatte nach Abarbeiten der Mahlfläche um ca. 8 mm die Mahlfläche erneut versucht zu schärfen. Dabei hat er allerdings auf Luftrillen verzichtet, die die Römer bereits kannten, oder die Kenntnis nicht mehr gehabt. Beim Schärfen, so lässt sich durch Vermessung der Radien der Rillen belegen, stand er auf einer Seite des Mühlsteins, beugte sich vor und rückte dabei zweimal mit seinem Billhammer nach jeweils ca. 9 cm Fortschritt nach - vermutlich weil es ihm unbequem in der vorgebeugten Haltung wurde.

In geradezu kriminalistischer Arbeit konnte auch in etwa die Größe des Müllers ermittelt werden. Aus den Radien der Schäfrillen lässt sich ein Abbild der Länge des Unterarms und der Elle des Müllers kalkulieren. Nach dem antiken Architekten Vitruvius entspricht die Länge von 4 Ellen einem Klafter, dieser wiederum entspricht der Körperhöhe. Damit konnte die Größe des mittelalterlichen jüngeren Müllers auf ca. 1,65 m bestimmt werden.

 

Mit der Datierung der Jahresringe der Mühlhauspfosten kann die erstmalig archäologisch nachgewiesene Mühle Garbenheims um ca. 210 Jahre älter als ihre Ersterwähnung belegt werden. Ihren Untergang fand die Mühle nach einer Analyse der Flurnamen aus den Urkundenbüchern während der Magdalenenflut vom 19.–25. Juli 1342, die als Jahrtausendflut Limburg, Frankfurt, Würzburg, Göttingen, Hann, Münden, Herford, Köln und andere Orte ca. 10 m und mehr Hochwasser bescherte. Allerdings fanden sich keine Berichte über deren Auftreten an der mittleren Lahn. Somit kann der Untergang der Werth-Mühle - stimmt man der Untergangshypothese zu - umgekehrt auch als Beleg für das Stattfinden dieses Jahrtausendhochwassers vor den Haustüren in Mittelhessen gewertet werden. Es kann darüber spekuliert werden, ob die Menschen im Gießener Becken angesichts des noch heutzutage fast jährlichen Hochwassers einen Bericht zu diesem Ereignis nicht für erwähnenswert gehalten haben.

 

 

Detlef E. Peukert